Wie Fructose früher unser Überleben sicherte, aber heute unserer Gesundheit schaden kann
Zuckersucht hin oder her, in den letzten Jahren zeigen immer mehr Studien, dass ein übermäßiger Zuckerkonsum die Ursache für viele verschiedene Krankheiten ist. Unter anderem fördert der ständige Zuckerkonsum einen dauerhaft erhöhten Blutzuckerspiegel, der unangenehme Folgen nach sich ziehen kann. Und genau das wird leider durch unser typisch westliches Essen gefördert.
Fettarme Ernährung war ein Irrtum
Die Erkenntnis, dass Zucker oft der Übeltäter in unserem Körper ist, wurde viele Jahrzehnte vertuscht. Man wusste schon früher, dass Zucker gesundheitsschädlich sein kann, aber diese wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden über einen langen Zeitraum manipuliert und verfälscht, oder einfach verschwiegen. Stattdessen wurde dem Fett die Schuld zugeschrieben. (Weißt du noch, wie intensiv Light-Produkte beworben worden sind?)
Unser Haushaltszucker: Fructose + Glucose
Unser gewöhnlicher Haushaltszucker ist eine Verbindung aus Fructose und Glucose. Daneben enthält er keine weiteren Bestandteile. Unser Körper kann die Verbindung zwischen den Fructose- und Glucose-Molekülen so schnell und einfach aufspalten, dass die beiden Zucker zügig in unseren Stoffwechsel geraten.
Die Glucose erhöht dabei den Blutzuckerspiegel, was wiederum dafür sorgt, dass Insulin ausgeschüttet wird. Das Problem dabei ist, dass zu viel Insulin und die Folgen davon auf Dauer krank machen.
Noch schlimmer scheint allerdings die freie Fructose zu sein. Darauf weisen mittlerweile mehrere Studien hin (Stichwort: Fettleber, Metabolisches Syndrom.)
Fructose ist gesund und wichtig für unser Überleben
Trotzdem ist Fructose (ursprünglich) nicht unser Feind. Sie hat eine lebenswichtige Funktion bei Menschen und Tieren, denn sie startet einen wichtigen Überlebensmechanismus, der in Menschen und Tieren biologisch angelegt ist.
Früher hat dieser Überlebensmechanismus uns sehr gut gedient und uns geschützt. Wir stehen heute nur vor dem Problem, dass sich unsere Lebensumstände massiv verändert haben. Dieser Überlebensmechanismus kommt aus einer für uns Menschen vergangenen Zeit, wirkt in unseren Körpern aber immer noch! Und das bringt einige Schwierigkeiten mit sich.
“Die Natur hat immer recht und die Fehler und Irrtümer sind immer die der Menschen.”
– Johann Wolfgang von Goethe
Also, lass uns da nochmal einen Schritt zurückgehen:
Um zu starten, möchte ich mir erstmal die positiven Effekte von Fructose ansehen (Ja, ich meine tatsächlich positive!):
Übergewicht ist nicht immer schädlich
Es stimmt, Übergewicht wird mittlerweile in jeder Hinsicht als negativ betrachtet, da es oft einhergeht mit hohem Blutzucker, einer Fettleber, Insulinresistenz und hohem Blutdruck. Wenn das zusammenkommt, spricht man mittlerweile auch vom Metabolischen Syndrom.
Und doch hat Übergewicht einen Vorteil. Aber welchen bloß?
Vorteile des Übergewichts
Um Antworten zu finden, müssen wir gar nicht weit gehen, denn es ist offensichtlich, dass in der Tierwelt im Winter eine gesunde Speckschicht lebensrettend ist. Kalte Winter können mit Übergewicht viel einfacher überlebt werden.
Und auch bei Trockenheit kann eine dicke Speckschicht von Vorteil sein. Man braucht nur an Kamele mit ihren riesigen Höckern zu denken. Sie speichern in ihren Höckern kein Wasser, sondern Fett. Aber wenn das Fett schmilzt, entsteht Wasser, das der Körper verwerten kann (1).
Auch Pinguine und Wale „trinken“ ihr Fett. Von Bären und anderen Tieren, die sich für ihren Winterschlaf fett futtern, hat jeder schon mal gehört.
Eine „gesunde“ Gewichtszunahme, die wir beim Menschen beobachten, kennen wir zum Beispiel auch während der Schwangerschaft. Der Körper bereitet sich mit Fettreserven auf die zehrende Phase nach der Geburt und die Stillzeit vor.
Fett versorgt unseren Körper in Zeiten des Mangels oder der Anstrengung.
Fett ist somit in der Lage, uns mit Kalorien und Wasser zu versorgen, wenn wir nicht genug zu essen bekommen oder uns in einer extremen Situation befinden.
Übergewicht ist also eigentlich eine sehr sinnvolle Eigenart.
Insulinresistenz als Folge von zu viel Zucker hat auch Vorteile
Insulinresistenz ist heute eine Schreckensnachricht. Ein Zeichen dafür, dass es mit der Gesundheit langsam bergab geht, und für viele auch immer noch ein Anzeichen dafür, dass man eben älter wird.
Wenig bekannt ist die Tatsache, dass der Bär während seines Winterschlafes – nach einer Gewichtszunahme – eine Insulinresistenz entwickelt (2).
Dank Insulinresistenz ist das Gehirn versorgt!
Die Leber und Muskeln des Bärs benötigen während des Schlafs keine Glucose und die Insulinresistenz sorgt dafür, dass das Insulin keine Glucose mehr in die Zellen schleusen kann. Der Bär ist so in der Lage seinen Bedarf an Glucose runterzuschrauben und die wenige Glucose, die sich im Blut des Bären ansammelt, so an ein anderes wichtiges Organ weiterzugeben: an das Gehirn.
Während Winterschlaf haltende Tiere schlafen und ihre Organe weniger Energie verbrauchen, wird das Gehirn weiterhin optimal versorgt (3) – dank Insulinresistenz und der Tatsache, dass das Gehirn die Glucose ohne die Hilfe von Insulin aufnehmen kann.
Leptinresistenz – Wenn hoher Zuckerkonsum und das daraus folgende Übergewicht auch noch energielos und ständig hungrig machen.
Bei Menschen mit Übergewicht entwickelt sich relativ schnell eine Leptinresistenz, die ebenfalls als ungünstige Erkrankung angesehen wird.
Normalerweise schütten die Fettzellen, wenn wir ausreichend gegessen haben, ein Hormon namens Leptin aus, das unserem Gehirn (Hypothalamus) die Nachricht überbringt, dass das System genug gegessen hat. Daraufhin meldet das Gehirn “Es ist genug” an den ganzen Körper und löst das Sättigungsgefühl aus.
Leptinresistenz bedeutet, dass das Gehirn nicht mehr optimal auf das Signal des Leptins reagieren kann und weiter hungrig bleibt (4).
"Ich kann nicht mehr aufhören zu essen!"
Menschen mit Leptinresistenz hören gar nicht mehr mit dem Essen auf und werden immer träger und energieloser. Sie haben ständig Appetit und werden nicht satt, als ob sie sich permanent auf einen harten Winter vorbereiten.
Und genau das ist es, was bei Tieren passiert, die sich auf den Winterschlaf einstellen. Die Leptinresistenz sorgt kurzzeitig dafür, dass das Tier ungebremst essen will und ordentlich an Gewicht gewinnen kann.
Das Übergewicht, die Insulin- und Leptinresistenz der Tiere ist aber kein Dauerzustand, sondern hat einen zeitlich begrenzten Sinn: Es schützt und sichert in Situationen des Mangels das Überleben.
Zu viel Zucker: Heute leben wir im Überfluss.
Der Mensch kommt in der westlichen Welt jedoch nicht mehr in eine Mangelsituation. Essen ist immer und überall verfügbar. In der heutigen Zeit BLEIBEN die Menschen, im Gegensatz zu den Tieren in der Natur, dann dauerhaft übergewichtig.
Dieser Mechanismus, der früher einmal das Überleben gesichert hat, ist scheinbar noch intakt, die Umwelt hat sich für uns jedoch massiv verändert. Während wir vor ein paar Hundert Jahren noch Mühe hatten, den Winter und das Frühjahr zu überleben, weil es nicht genug zu essen gab, gehen wir heute gemütlich in den Supermarkt und kaufen das, wonach uns gerade ist. Und auch obwohl wir schon seit einigen Jahrzehnten in Saus und Braus leben, existiert diese Schutzfunktion in unserem Körper weiter. Sie hat uns früher das Leben gerettet, ist aber heute so nicht mehr notwendig und lässt uns sogar krank werden.
Fructose löst die Vorbereitung für den Winterschlaf aus.
Was genau ist es, das Tiere plötzlich dazu bewegt, mehr zu fressen, um sich auf härtere Zeiten wie den Winter oder Trockenphasen vorzubereiten? Warum wechseln sie plötzlich in diesen Überlebensmechanismus und werden dicker?
Und was lässt uns Menschen mehr essen und trinken, als wir eigentlich brauchen, so dass wir als Folge übergewichtig und träge werden?
Wissenschaftler haben mittlerweile herausgefunden, dass Tiere in der Vorbereitung auf die anstehende Mangelsituationen bevorzugt zu Früchten greifen (5). Und der Hauptbestandteil von Früchten ist der Zucker Fructose. Schon frühere Untersuchungen haben bereits einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Fructose und Übergewicht festgestellt (6).
Daher beschäftigen sich mittlerweile zahlreiche Wissenschaftler mit dem Zusammenhang von Fructose, Übergewicht und Krankheiten und haben dazu verschiedene Versuche durchgeführt.
Fructose macht nicht satt.
Um den direkten Zusammenhang festzustellen, haben die Wissenschaftler Mäuse und Ratten mit Fructose gefüttert. Normalerweise essen Mäuse und Ratten, die hochkalorische Getränke bekommen, weniger und gleichen somit ihren Bedarf aus. Um die Fructose von der normalen Ernährung abzukoppeln, haben die Wissenschaftler in diesem Versuch die Fructose dem Trinkwasser beigemischt. So konnten sie erkennen, dass die Gruppe von Tieren, die fructosehaltiges Wasser (also isolierte Fructose) trank, nach einer Weile begann, mehr zu fressen als die Kontrollgruppe. Die Mäuse wurden nicht nur dicker, sondern bewegten sich auch viel weniger und entwickelten eine Fettleber (7).
Ernährungswissenschaftler haben daraufhin übergewichtige Freiwillige, zehn Wochen lang mit sehr glucose- oder fructosehaltigen Lebensmitteln versorgt. Beide Gruppen nahmen ähnlich viel an Gewicht zu. Die Gruppe, die vermehrt Fructose bekam, hat jedoch mehr Bauchfett gespeichert, entwickelte Insulinresistenzen, der Bluthochdruck stieg, ihre Harnsäure-Werte stiegen an und einige entwickelten sogar eine Fettleber (8).
Die Antwort: Isolierte Fructose ist in großen Mengen schädlich
Der erhöhte Konsum von Fructose steuert also den Überlebensmechanismus (den Wechsel zu Insulin-/Leptinresisztenz und Gewichtszunahme) in Mensch und Tier. Aber nicht nur das, er fördert auch die Entstehung von Übergewicht, Adipositas und dem Metabolischen Syndrom.
Glucose-Fructose-Sirup in verpackten Lebensmitteln
Interessanterweise gibt es einen enormen Anstieg von ebendiesen Erkrankungen seit der Einführung von Glucose-Fructose-Sirup. Ein Sirup, der kostengünstig aus Mais hergestellt wird und zu mehr als 50% aus freier Fructose besteht. Er wird hauptsächlich für Softdrinks genutzt, findet sich jedoch immer häufiger in zahlreichen verpackten und oft auch sehr günstigen Lebensmitteln, obwohl der Zusammenhang von einem erhöhten Konsum und den genannten Erkrankungen bereits mehrfach hergestellt werden konnte (9,10).
Unsere biologischen Anlagen passen nicht zu unserer veränderten Umwelt.
Es sieht damit ganz danach aus, dass viele Erkrankungen eine gemeinsame Ursache und eine einfache biologische Erklärung haben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Übergewicht, Fettleibigkeit, Diabetes, das Metabolische Syndrom, Bluthochdruck, Gicht, Infarkte, Fettleber, Nierenerkrankungen, Krebs, Alkoholismus, Verhaltensauffälligkeiten, Arteriosklerose durch genau dieselbe Schutzfunktion im Körper entstehen, die wir uns gerade genauer angesehen haben!
Zugesetzte bzw. isolierte Fructose kann demnach massive Schäden verursachen.
Haushaltszucker besteht zu 50% aus freier Fructose. Daher konsumieren wir im Durchschnitt pro Person 50g isolierte Fructose pro Tag. Auf Dauer viel zu viel und ein Auslöser des Überlebensmechnismus: freie Fahrt für Übergewicht, Insulinresistenz und Leptinresistenz.
Ist Fructose in Obst und Gemüse auch ungesund?
Was passiert aber bei dem Konsum von ganz natürlicher Fructose aus Gemüse und Früchten?
Fructose in Gemüse
Süßes Gemüse enthält zwar Fructose, diese reicht jedoch nicht aus, um unsere Leber massiv zu beeinflussen. Bei Früchten ist der Fructosegehalt viel höher und doch wirken Früchte anders als zugesetzte Fructose.
Fructose in Obst
Früchte kommen als Paket mit Vitamin C, Flavonoiden, Kalium und Ballaststoffen. Die Absorption und Verstoffwechselung von dieser Fructose wird damit verlangsamt. Selbst bei wissenschaftlichen Versuchen konnte keine Gewichtszunahme festgestellt werden, wenn Probanden täglich Früchte in moderaten Mengen zu sich nahmen (11).
Und während Menschen meist nur wenige und eher halbreife Früchte essen, konsumieren Tiere vor dem Winter große Mengen sehr reifer Früchte, deren Fructosegehalt um ein Vielfaches größer ist. Das macht den Überlebensmechanismus und den Winterspeck möglich.
Fructose in Säften
Frisch gepresste Säfte kann man hier aber durchaus kritisch einstufen, da der Fructosegehalt im Glas sehr hoch ist und die Ballaststoffe aus der Frucht fehlen. Hier sollte man hinsichtlich der Wirkung von der jetzt isolierten Fructose die Konzentration verringern und Wasser hinterher trinken.
Fructose in Trockenfrüchten
Vorsicht auch bei getrockneten Früchten, denn auch hier hat sich das Verhältnis von Fructose und Nähr- und Ballaststoffen verändert und die Konzentration an Fructose ist extrem hoch. Am besten ist es, sie immer nur in ganz kleinen Portionen zu essen.
Erstmal auf Fructose verzichten
Wenn es darum geht, den entspannten Umgang mit Zucker zu lernen oder sich ganz aus der Sucht zu lösen, ist es meiner Erfahrung nach von Vorteil, Säfte, Trockenfrüchte und sogar auch frisches Obst erst einmal ganz aus der Ernährung zu streichen. Beide stehen sehr oft mit einem großen Wunsch nach Süßigkeiten in Verbindung und führen oft zu Rückfällen.
Quellen
1 Schmidt-Nielsen, Knut. “The Physiology of the Camel.” Scientific American, vol. 201, no. 6, 1959, pp. 140–51. JSTOR, http://www.jstor.org/stable/24941189. Accessed 17 Sep. 2022.
2 Rigano KS, Gehring JL, Evans Hutzenbiler BD, et al. Life in the fat lane: seasonal regulation of insulin sensitivity, food intake, and adipose biology in brown bears. J Comp Physiol B. 2017;187(4):649-676. doi:10.1007/s00360-016-1050-9
3 Sprengell M, Kubera B, Peters A. Brain More Resistant to Energy Restriction Than Body: A Systematic Review. Front Neurosci. 2021;15:639617. Published 2021 Feb 9. doi:10.3389/fnins.2021.639617
4 Sahu A. Leptin signaling in the hypothalamus: emphasis on energy homeostasis and leptin resistance. Front Neuroendocrinol. 2003;24(4):225-253. doi:10.1016/j.yfrne.2003.10.001
5 Knott, C.D. Changes in Orangutan Caloric Intake, Energy Balance, and Ketones in Response to Fluctuating Fruit Availability. International Journal of Primatology 19, 1061–1079 (1998). https://doi.org/10.1023/A:1020330404983
6 Hill R, Baker N, Chaikoff IL. Altered metabolic patterns induced in the normal rat by feeding an adequate diet containing fructose as sole carbohydrate. J Biol Chem. 1954;209(2):705-716.
7 Softic S, Gupta MK, Wang GX, et al. Divergent effects of glucose and fructose on hepatic lipogenesis and insulin signaling [published correction appears in J Clin Invest. 2018 Mar 1;128(3):1199]. J Clin Invest. 2017;127(11):4059-4074. doi:10.1172/JCI94585
8 Stanhope KL, Schwarz JM, Keim NL, et al. Consuming fructose-sweetened, not glucose-sweetened, beverages increases visceral adiposity and lipids and decreases insulin sensitivity in overweight/obese humans. J Clin Invest. 2009;119(5):1322-1334. doi:10.1172/JCI37385
9 Elliott SS, Keim NL, Stern JS, Teff K, Havel PJ. Fructose, weight gain, and the insulin resistance syndrome. Am J Clin Nutr. 2002;76(5):911-922. doi:10.1093/ajcn/76.5.911
10 Perez-Pozo SE, Schold J, Nakagawa T, Sánchez-Lozada LG, Johnson RJ, Lillo JL. Excessive fructose intake induces the features of metabolic syndrome in healthy adult men: role of uric acid in the hypertensive response. Int J Obes (Lond). 2010;34(3):454-461. doi:10.1038/ijo.2009.259
11 Madero M, Arriaga JC, Jalal D, et al. The effect of two energy-restricted diets, a low-fructose diet versus a moderate natural fructose diet, on weight loss and metabolic syndrome parameters: a randomized controlled trial. Metabolism. 2011;60(11):1551-1559. doi:10.1016/j.metabol.2011.04.001